Ein systemtheoretischer Blick auf Wandel in Schulen – mit dem entpsychologisierten House of Change
Veränderungen in Schulen werden häufig als psychologische oder motivationale Herausforderung verstanden. Das ist nicht falsch, doch dieser Blick greift zu kurz. Schulen sind komplexe soziale Systeme, deren Entwicklung sich nicht allein über individuelle Haltungen, Appelle oder Motivation navigieren lässt. Veränderung entsteht stattdessen dort, wo die Organisation ihre Kommunikationsmuster, Rhythmen und Erwartungen reorganisiert. Genau aus diesem Grund setzt modernes Change Management weniger auf menschliche Einflussnahme und mehr auf die präzise Beobachtung und Orientierung der Kommunikation im System.
Der Einstieg in diese Perspektive wird deutlicher, wenn man Change nicht als Steuerungsaufgabe und nicht als Aushandlungsprozess auf der individuellen Ebene missversteht:
Maschinen lassen sich steuern, weil sie komplizierte, aber berechenbare Wenn-dann-Beziehungen besitzen. Schulen dagegen gehören zu den komplexen Systemen: Sie erzeugen unvorhersehbare neue Zustände, sie reagieren nicht linear, und sie entwickeln eigene Formen der Selbstregulation. Wer versucht, komplexe Systeme wie Maschinen zu behandeln, erzeugt ggf. Systemübersteuerung, Überforderung und Widerstand. Wer hingegen versteht, dass Orientierung in komplexen Systemen über Kommunikation geschieht, erschließt sich völlig neue Handlungsspielräume.
Kommunikation folgt stets drei Selektionsoperationen: dem Meinen, dem Mitteilen und dem Verstehen. Diese Elemente wirken zusammen und erzeugen jenes „Ding“, das wir als Kommunikation bezeichnen. Ob eine Aussage relevant wird, zeigt sich dabei nie an der Absicht eines Menschen, sondern erst an der Folgekommunikation. Führungskräfte in Schulen tun daher gut daran, nicht zu fragen, wie etwas gemeint war, sondern zu beobachten, was das System tatsächlich anschließt. Genau darin liegt die Wirksamkeit der FORM-Analyse: Sie reduziert Unbestimmtheit, macht Rhythmisierungen sichtbar und zeigt, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Schule bestimmte FORMEN in Kommunikation fortsetzt. Der Blick richtet sich dadurch weg von Personen und hin zur Grammatik der Kommunikation selbst.
Eine FORMline zeigt dabewu wie sich ein Kommunikationssystem rhythmisiert. In diesem System sind die sechs FORMen (aus M, !, V) in bestimmter Abfolge verbaut, und darüber wird die Folgekommunikation erzeugt. Schulen entwickeln durh FORMlines kommunikative Muster, die sich wiederholen und verfestigen. Wenn etwa Schulleitung auf Vorschläge des Kollegiums konsequent mit einem „Ja, aber …“ reagiert, während das Kollegium immer wieder mehr Klarheit einfordert, entsteht eine FORMline, die sich durch wechselnde Erwartungen stabilisiert. Eine solche Dynamik lässt sich nicht durch Appelle auflösen. Sie lässt sich nur durch die bewusste Einführung anderer kommunikativer FORMEN verändern. Führung bedeutet, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass das System an bestimmten Stellen anders anschließt als bisher. Veränderung entsteht also durch das Eröffnen neuer Anschlussräume.
Das House of Change bietet in seiner entpsychologisierten Fassung einen hilfreichen Rahmen für diese Beobachtung. Ursprünglich stammt das Modell aus der Trauerpsychologie und beschreibt individuelle emotionale Prozesse. Für Organisationen ist dieser Zugang jedoch irreführend: Wenn Schulen das Modell psychologisch lesen, entsteht der Eindruck, Kolleginnen und Kollegen müssten nur „durch ihre Phasen“ ans Ziel geführt werden. In diesem Beitrag beschreibt das House of Change keine inneren Zustände von Menschen, sondern unterschiedliche kommunikative Modi eines Systems:
Im Modus der Routine, der dem ersten Raum entspricht, ist die Kommunikation stark rhythmisiert. Sie bezieht sich wenig auf die Umwelt und stabilisiert das Bekannte. In diesem Zustand neigen Schulen dazu, veränderte Rahmenbedingungen zu übersehen oder als unwichtig abzutun. Die Kommunikation trägt das Grundgefühl, dass alles so weiterlaufen wird wie bisher. Um diesen Modus zu verlassen, benötigt ein System keine moralischen Appelle oder Motivationsprogramme, sondern irritierende Informationen, die sich mit den bestehenden Formen nicht mehr verarbeiten lassen. Erst an dieser Stelle entsteht die notwendige Differenz, die Anschlusskommunikation in eine andere Richtung ermöglicht.
Im zweiten Modus, dem der Verneinung und Abwehr, zeigt sich die kommunikative Auseinandersetzung mit Störung. Das System registriert zwar, dass etwas nicht mehr ganz passt, reagiert aber ggf. weiterhin mit den vertrauten Mustern. Die Abwehr ist dabei der Versuch des Systems, mit erhöhter Komplexität über bekannte Formen umzugehen. An dieser Stelle ist Beteiligung als kommunikatives Angebot wirksam – nicht als Konsensforderung, sondern als Möglichkeit, neue Kommunikationsangebote zu erzeugen. Konflikte sind in diesem Modus kein Störfaktor, sondern der Versuch des Systems, sich selbst in einen anderen Zustand zu überführen.
Im dritten Modus entsteht Dissonanz. Die bisherigen Routinen greifen nicht mehr, neue Praktiken sind jedoch noch nicht etabliert. Die Kommunikation wirkt unsortiert, Erwartungen sind unklar, und es dominiert das Bedürfnis nach Orientierung. Das System zeigt Suchbewegungen, Ideenschleifen oder Abwarten. Hier wird sichtbar, wie entscheidend es ist, Räume, Zeiten und Strukturen bereitzustellen, in denen die Kommunikation sich neu ordnen kann. Transparenz, partizipative Formate und Pilotprojekte sind nicht deshalb hilfreich, weil sie Menschen „mitnehmen“, sondern weil sie dem System Gelegenheiten bieten, alternative FORMlines zu testen und zu rhythmisieren.
Erst im vierten Modus entsteht neue Stabilität. Die Kommunikation findet ihren Takt, Kompetenzen reifen, und das System beginnt zu verstehen, wofür die Veränderung gut ist. Diese Stabilisierung bedeutet nicht Rückkehr zur alten Ordnung, sondern die Etablierung einer neuen. Die Kunst der Führung besteht an dieser Stelle darin, Orientierung zu halten und zu vermeiden, dass das System zu früh in die alte Rhythmisierung zurückfällt.
Die Wege zwischen den Räumen verlaufen nie linear. Unterschiedliche Personen oder Gruppen können gleichzeitig in unterschiedlichen kommunikativen Modi agieren. Das System kann frühere Muster wieder aufnehmen, wenn neue Praktiken (noch) nicht ausreichend Rhythmus gefunden haben. Diese Rückschritte sind keine Fehler im kommunikativen Gewebe, sondern Ausdruck der evolutionären Logik sozialer Systeme. Führung sollte diese Dynamik nicht bekämpfen, sondern verstehen. Change entsteht im Zusammenspiel aus Beobachtung, FORM-Bewusstsein und dem Angebot neuer Möglichkeiten. Maßnahmen werden erst dann wirksam, wenn sie kommunikativ anschlussfähig sind.
Deshalb ist jede Maßnahme ein Angebot und keine Steuerung.
Orientierung entsteht, wenn Schulleitung analysiert, wie das System kommuniziert, welche FORMEN dominant sind und welche alternativen Anschlussmöglichkeiten entstehen können. Das bedeutet, nicht auf „Trial and Error“ zu setzen, sondern zuerst auf FORM-Analyse und auf das bewusste Design von Kommunikationsräumen. Bevor ein Team also Maßnahmen plant, bestimmt es zunächst den Raum, in dem sich das System kommunikativ befindet. Dann folgt die FORM-Analyse, die zeigt, welche FORMen den aktuellen Zustand prägen und welche FORMline als Brücke in den nächsten Modus geeignet ist. Erst auf dieser Basis wird eine Maßnahme entwickelt, die mit realistischer Annahmewahrscheinlichkeit tatsächlich Anschluss findet.
Schulen verändern sich nicht allein dadurch, dass Menschen ihre Einstellungen ändern. Sie verändern sich dadurch, dass die Kommunikation andere Rhythmen annimmt.
Change Management ist deshalb keine Arbeit an Menschen, sondern die Kunst, Kommunikationsprozesse so zu gestalten, dass Wandel möglich, wahrscheinlich und schließlich stabil wird.