Die Welt zwischen den Worten: Schweigen im Coaching

Ich möchte heute ein leistungsstarkes Phänomen vorstellen, das oft unterschätzt wird: den Einsatz von Schweigen.

In der hektischen Welt der Bildung, in der das Klingeln der Pausenglocke und das Stimmengewirr der Schülerinnen und Schüler den Takt vorgeben, kann das bewusste Schweigen eine Oase der Ruhe, Reflexion und des tieferen Verständnisses sein.

In meiner Coaching-Praxis offenbart sich gelegentlich, wie wertvoll Schweigen in Einzel- oder Gruppensitzungen (es ist allerdings vielen im Einzelsetting i.d.R. angenehmer). Ziel ist dabei, Geduld zu vermitteln und Lehrer*innen und Schulleitungen darin zu bestärken, sich selbst zu steuern und auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen.

Das Schweigen auszuhalten, ist eine Kunst, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Es bedeutet im Coaching, den Raum mit Aufmerksamkeit unter weiteren Anwesenden zu füllen und dabei dem Coachee Zeit zu geben, um Gedanken und (noch wichtiger!) Gefühle passieren zu lassen. Es ist eine Einladung, sich selbst zu begegnen – fernab der täglichen Geräuschkulisse. Ich kann – wenn es glückt – die innere Arbeit des Coachees körperlich beobachten: Die Körpersprache, Mimik und Gestik des Coachees liefern ggf. ein tieferes Verständnis für dessen Zustand. Womöglich und wenn gewünscht biete ich hinterher an, das Beobachtete (verbal) zur Verfügung zu stellen. Indem wir im fortgeschrittenen Stadium (weniger als Einstieg) eine Phase des Schweigens einleiten, entstehen dann manchmal (nicht immer) wertvolle Einsichten.

Oder denken wir an eine Gruppensitzung (hier kommt es auf die Gruppen und ihre Dynamik an), in der ein Konflikt herrscht: Das bewusste Schweigen, das ich initiiere (eine Minute kann da hinreichen), erlaubt jedem Mitglied der Gruppe, einen Schritt zurückzutreten. Das Ergebnis kann ein empathischer und konstruktiver Dialog sein, der den Weg zur Konfliktlösung ebnet. Kann, muss nicht.

In meiner Arbeit mit Lehrer*innen und Schulleitungen ist es entscheidend, eine Balance in der Kommunikation zu finden. Schweigen ist mächtig, aber es muss ausgewogen mit aktivem Zuhören und verbaler Kommunikation eingesetzt werden. Es zeigt sich, dass nicht jede Lücke sofort mit Worten gefüllt werden muss.

Allerdings wird in vielen westlichen Kulturen Kommunikation oft mit dem Austausch von Worten gleichgesetzt, und Pausen im Gespräch können als unangenehm oder gar als Zeichen von Desinteresse oder Unwissenheit wahrgenommen werden. Schweigen wird in manchen Situationen als peinlich empfunden, und es gibt eine Tendenz, Stille schnell mit Gespräch zu füllen.

Ein unangemessener Gebrauch von Schweigen kann auch als eher störend empfunden werden, z.B. wenn es den Eindruck erzeugt, der Coach halte etwas zurück.

Als Coach versuche ich darauf zu achten, wie ich höchstselbst auf dieses Schweigen reagiere. Fühle ich mich unbehaglich, werde ich bei diesem Coachee, dieser Gruppe ungeduldig? Die Selbstbeobachtung kann Aufschluss darüber geben, ob ich den Raum für eine Entwicklung wirklich offen halten kann. Sehr spannend!

Durch das Schweigen kann ich ferner beobachten, welche Auswirkungen meine vorherigen Worte oder Fragen hatten. Ich kann eine Hypothese darüber entwerfen, ob die gewählten Interventionen eine erste Wirkung entfalten - oder angepasst werden müssen.

Mitunter lassen sich im weiteren Verlauf des Prozesses Muster erkennen: Wenn das Schweigen wiederholt, gar regelmäßig auftritt (hier wiederum v.a. in Gruppen), kann dies dem Coachee resp. der Gruppe helfen, Muster zu identifizieren: Sind bestimmte Themen oder Fragen wiederkehrend Auslöser?

Nicht zuletzt ist dieser Ansatz eher geeignet, wenn eine vertrauensvolle Balance zwischen Coachee bzw. Gruppe und mir bereits recht stabil besteht.

Das Schweigen kann durchaus als Spiegel für die Beziehung zwischen den Beteiligten gesehen werden: Fühlen sich die Anwesenden wohl genug, um in Gegenwart des Coaches zu schweigen? Zugleich ist es wichtig, dass ich als Coach das Schweigen nicht übereilt interpretiere oder unterbreche.

Welch’ spannendes Thema!

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